Gerald Kaufmann | Ruhe: Am Abend I - Gerald Kaufmann

Ruhe: Am Abend I

Mischtechnik auf Papier 50×64
Gerald Kaufmann, 2010

„Ich habe die Nacht getroffen und bin mit ihr in den Straßen der Stadt gegangen. Ich habe die Menschen auf der Strasse – vereinzelt habe ich welche getroffen – nach deinem Namen gefragt. Niemand wusste ihn. Wir sind gemeinsam im Kaffeehaus gesessen, die Nacht und ich. Ich habe mit ihr über Dich gesprochen. Sie hat mir Vieles erzählt. So Vieles und Schönes, . . . stumm hörte ich sie an.
Warum erzählst Du mir das?, fragte ich nach einer Weile. Du erzählst nicht von ihr, das ist sie nicht!
Traurig sah mich die Nacht an: Warum fragst du mich dann, wenn du mir nicht traust?
Erzähle, wie sie wirklich ist!
Wirklich? Dann komm! Sie nahm mich an der Hand.
Schweigend zogen wir weiter, Straße für Straße, hinaus aus der Stadt, immerfort weiter. Begleitet von Sternen, im Mantel der Nacht, bis zu einem Tor. Ich öffnete auf Geheiß der Nacht und wir gingen hinein, stiegen Stufen empor. Eine Tür, wieder Stufen, wir stiegen empor, eine Tür, wieder Stufen, stundenlang, immer weiter. Der Mond lag unter uns, die Sterne nahe, Stille. Immer noch höher stiegen wir. Eine Tür schließlich öffnete meine Begleiterin, es war die Letzte. Ich trat ein und sah dich, anmutig schön. Du schliefst. Als ich mich dir näherte, erwachtest du. Du batst mich, mich zu dir zu setzen. Sanft berührtest du mich, nahmst meinen Kopf in deine Hände, ich fühlte deine Wärme. Wir sprachen miteinander. Ich hatte dir so Vieles zu erzählen, wie ein Kind. Ich war so glücklich, mit dir zu sprechen. Weisheitsvoll waren deine Worte. Schön wie du mit mir sprachst. Warum nur hab ich das vergessen? Ich wollte nicht gehen, wollte für immer bei Dir bleiben, doch die Nacht drängte mich. Geh!, befahl sie. Geh und vergiss das nicht. Sie zog mich mit sich fort. Rückkehrend hüllten wir uns im Schweigen. Irgendwann verließ sie mich, ich ging alleine. Im Morgengrauen kam ich an und mit mir die ersten Sonnenstrahlen. Du!, begrüßte mich der Tag lächelnd, weißt du noch ihren Namen?“ – Gerald Kaufmann, Nachts
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